Meine Schokoladenerzählung

Ich war schon sehr früh umgeben von Schokolade und ausgewählten süßen Köstlichkeiten. Als Kind begann mein Tag, bevor ich zur Schule gehen musste, mit einem Besuch bei meinem Vater in der Konditorei. Streng und mit großer Selbstdisziplin waltete er seines Amtes, hatte alles im Blick und unter Kontrolle. Es herrschte ein gutes Arbeitsklima bei uns, mein Vater arbeitete sehr hart. Er war frühmorgens der Erste und spätabends der Letzte, der den Betrieb verließ. Nach der Schule half ich meistens noch gerne in der Backstube. Nachmittags nahm sich mein Vater öfters Zeit, den Lehrlingen und mir etwas Neues zu zeigen oder selbst eine neue Kreation auszuprobieren.

In dieser Zeit ist es ihm gelungen, in mich diese uneingeschränkte Faszination für CHOCOLAT einzupflanzen, und so kam es dann auch, dass ich die Konditorenlehre begann und es bis zur Meisterprüfung schaffte. Nebenbei studierte ich Philosophie und Kunst. Aber das Wichtigste war wohl in dieser prägenden Zeit die Nähe zu meinem Vater. Er lehrte mich alles über Schokolade und über die wirklich wichtigen Dinge im Leben, die mich so prägten, dass ich den Mut fasste, dieses Buch zu schreiben. Auch die Wirkung, die der Film „Chocolat“ aus dem Jahr 2002 auf mich hatte, sollte man nicht unterschätzen. Mein Vater erzählte mir auch immer gerne die Geschichte eines Berichtes in der „ZEIT“, in dem er gelesen hatte, dass bei einer Befragung von „alten“ Menschen darüber, was sie in ihrem Leben ändern würden, wenn sie noch einmal jung wären, die häufigste Antwort war: Mehr zu riskieren und mehr Wagnis einzugehen und nicht ein Leben vollständig auf Sicherheit aufzubauen. Auch seinen Träumen nachzugehen und ihnen zur Verwirklichung zu verhelfen.

Dieses Risiko, sichere Häfen zu verlassen oder nicht anzusteuern, Abenteuer einzugehen und der Versuchung zu erliegen, Unsicherheit zuzulassen, das würden sie eingehen, wenn sie noch einmal von vorne anfangen könnten. Diese Aussage hat mich beeindruckt, und ich kann dieser Erkenntnis, obwohl ich selbst noch im jungen Alter bin, sehr viel abgewinnen. Mein Vater meinte, es sei unbedingt wichtig, sich auf Abenteuer und Erlebnisse mit unsicherem Ausgang einzulassen, um nicht am Ende des Lebens im Gefängnis der sicheren Einsamkeit zu landen. Er selbst hatte sehr viel erlebt in seiner Kindheit. Seine Familie hatte ein großes Industrieunternehmen, das Gusseisenprodukte herstellte, und man lebte in Wohlstand und hoch angesehen im Ort. Doch dann änderte sich das wirtschaftliche Umfeld – Gusseisen wurde viel günstiger im Osten produziert – und nach hartem Kampf gab man auf. Der Betrieb musste Insolvenz anmelden.

Mein Vater sprach nicht gerne über diese Zeit. Aber nur so viel: Man verlor wirklich alles, sogar die ganz persönlichen Dinge wurden gepfändet. Vom geordneten, gesicherten Lebenswandel im Wohlstand einer Industriellenfamilie zurück in ein ganz einfaches, sparsames Umfeld zurückzukehren, das war eine harte, aber im Endeffekt gute Schule für ihn. Das Positive an dieser Erfahrung in jungen Jahren war, dass er frei war in seiner Entscheidung, was er im Leben machen wollte. Er hatte somit in seiner Kindheit bereits beide Seiten des Unternehmertums am eigenen Leib verspürt und kennengelernt.

Dies war auch ein Grund, warum er auf wahre Freundschaften sehr großen Wert legte. Freundschaften bedeuteten für ihn nicht nur, diese in guten Zeiten zu pflegen, sondern ganz bewusst hatte er auch vielen seiner Freunde in schwierigen Zeiten geholfen – ohne dabei zu urteilen, zu werten oder bei jemandem „Schuld“ zu suchen. Warum mein Verhältnis zu meinem Vater so ein inniges gewesen ist, habe ich oft versucht zu ergründen. Natürlich – ich war seine einzige Tochter. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass er meine große Achtung, meinen Respekt und meine Verehrung in den ersten Jahren meines Lebens gewonnen hat. Er hat sich in dieser Zeit fürsorglich und zeitintensiv um mich gekümmert. Ich konnte dies ja im zarten Alter noch nicht zum Ausdruck bringen, es dürfte sich aber im Unterbewusstsein stark verankert haben. Prägend war, wie er mir in diesem Alter jeden Abend von ihm selbst erfundene, traumhafte Einschlafgeschichten – wie zum Beispiel die Geschichten von 1001 Nacht,  umgemünzt auf das Abendland – erzählte, die immer ihre Fortsetzung gefunden haben, ohne dass er den Teil vom Vortag vergessen hätte, und die mir bis heute in Erinnerung geblieben sind. Eine handelte damals schon von einer kleinen Konditorei in Triest und einem kleinen Mädchen aus einem Waisenhaus, und sie war jedes Mal spannend für mich. Dieses tiefe Vertrauen, die Zuneigung und Liebe haben dadurch ihren ewigen Bestand gewonnen und sich in große Hochachtung, Respekt und Akzeptanz für meinen Vater als Vorbild weiterentwickelt.

Ja, und da war noch meine Mutter. Eine wirklich imposante Erscheinung. Sie stammte aus einem altem Adelsgeschlecht von Neapel. Sie war voller Lebensfreude, war Ärztin aus Leidenschaft und für alle Menschen immer erreichbar, sie opferte sich auf für uns Kinder sowie für ihren Göttergatten und half allen Menschen, die etwas bedrückte. Sie verkörperte den Charme von Capri und Positano. Die Herzenswärme Süditaliens strahlte sie aus – natürlich gab es bei ihr auch immer al dente gekochte Pasta vom Feinsten. Kennengelernt hatte mein Vater sie auf einem Empfang eines Freundes. Wo – wie so oft in der Schweiz, von Calvin und Zwingli geprägt – Zurückhaltung auf allen Gebieten herrschte. Meine Mutter fiel auf, sie trug damals als einzige am Empfang einen übergroßen Hut – nach neuester italienischer Mode – sowie einen extravaganten Seidenschal, damit war sie die Erscheinung des Abends.  Zwischen meinen Eltern war es Liebe auf den ersten Blick, wie es so schön heißt. Es wurde in Italien geheiratet, meine Mutter organisierte ein rauschendes Fest – es gab Brunello di Montalcino ohne Ende – was die Schweizer teilweise als eine große Verschwendung und Übertreibung empfanden. Ich wurde wahrscheinlich in der Hochzeitsnacht gezeugt, so wie sich das gehörte im alten Italien. Ich bin also ein Kind der Liebe und obendrein erblickte ich dann auch noch an einem Sonntag das Licht der Welt. Meine Mutter hat mich als Frau entscheidend geprägt. Mein Vater meinte immer: „Deine zukünftigen Verehrer werden immer nach dem Motto Wie die Mutter –so die Tochter zuerst unseren Vulkan aus Neapel unter die Lupe nehmen – und da hast du wirklich ausgezeichnet gute Karten.“

Unseren Familiennamen Manna erklärte mir mein Vater wie folgt: Seine humoristische Lieblingssatire, die er in seiner Jugend oft gelesen hatte, war „Der Münchner im Himmel“ von Ludwig Thoma (1911). Sie erzählt die Geschichte von Alois Hingerl, Dienstmann Nr. 172, der immer so hastig arbeitet, dass er unerwartet vom Schlag getroffen stirbt. Zwei Engel schleppen ihn in den Himmel, wo er mit „Aha! Ein Münchner“ begrüßt wird. Dort erhält er von Petrus den Namen „Engel Aloisius“, er bekommt eine eigene Wolke samt Harfe zugeteilt und kann ab nun „frohlocken“ und „Hosianna“ singen. Auf seine Frage an Petrus, wann er denn endlich etwas zu trinken – sprich ein Bier – bekomme, erhält er die Antwort: „Du wirst dein Manna schon bekommen“. Es gab also ein himmlisches Manna. Es ließ meinem Vater keine Ruhe, exakt zu ergründen, was es mit dem damit auf sich hatte.

Als Manna oder auch Himmelsbrot wird in der Bibel (2 Mos 16) die Speise bezeichnet, die den Israeliten auf ihrer 40-jährigen Wanderschaft durch die Wüste als Nahrung diente. Beschrieben wird Manna als „etwas Feines, Knuspriges, fein wie Reif“ (2 Mos 16,14). Diese nach Honig schmeckende Frucht fiel nachts auf den Wüstenboden und konnte des Morgens aufgesammelt werden. Es wird bei allen monotheistischen Religionen beschrieben. Im Hebräischen bedeutet es „Was ist das“, was sich auf sein plötzliches Erscheinen in der Wüste beziehen soll. Im Neuen Testament (Joh 6, 30–35) bezeichnet sich Jesus Christus unter Hinweis auf Manna als „Brot des Lebens“. Und im Koran heißt es zum Beispiel in der Sure 7 Al-A`raf Vers 160: „… Und wir ließen sie von Wolken überschatten und sandten ihnen MANNA und Wachteln herab…“

Mein Vater hatte es sich nun in den Kopf gesetzt, dieses heilige Manna zu finden und es in unserer Schokolade zu verarbeiten (Brot des Lebens), und es war immer ein Thema auf unseren Reisen, von denen ich später erzählen werde. Und dann gab es da noch unseren Notar Dr. Samuel Blum, mit dem sich mein Vater sehr gerne unterhielt und der uns oft in der Konditorei besuchte. Dr. Blum kam aus dem kleinen Ort Paradiesli im Kanton Solothurn, und er verwendete gerne die Metapher, er käme zwar aus dem Paradiesli, aber das Leben könne ihm dies leider nicht bestätigen. Mir gefiel der Ortsname ungemein und ich prüfte auch nach, ob es ihn wirklich gab, diesen Ort Paradiesli, da man ja Anwälten nie wirklich trauen sollte.  Dr. Blum jedoch war ein sehr gewissenhafter, kluger und ehrlicher Mensch. Er erzählte oft von den vielen Streitigkeiten bei Verlassenschaften, Betriebsübergaben und Scheidungen – wenn es nur um das Geld und das Rechthaben ging. Wie viel gelogen und verleumdet wird, nur um ja nicht selbst zur Verantwortung gezogen zu werden oder um Dinge zu bekommen, die einem eigentlich gar nicht zustehen. Er vermisste immer die wahren Größen und Tugenden im Menschen.  Wenn mein Vater und Dr. Blum bei einem guten Glas Wein – meistens war es eben ein Brunello di Montalcino – philosophierten, durfte ich mithören und mich dazusetzen. Sie träumten beide von der großen, weiten Welt und hingen der Sinnfrage nach. Dr. Samuel Blum war ein gläubiger Jude mit Augenzwinkern – trotz seiner notariellen Ernsthaftigkeit. Und mein Vater war Hobbyphilosoph, sehr belesen, und beide waren sie reich an Erfahrung und guter Selbsteinschätzung. Mein Vater erwähnte in diesem Zusammenhang immer eine Lebensweisheit seines Schwiegervaters (er war Richter in Neapel gewesen und gewohnt, in fließendem Latein zu rezitieren) wie folgt:

Kaiser Justinian setzte im Corpus Iuris Civilis die Feststellung: „Iuris Praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere – Die Gebote des Rechts sind diese: Ehrenhaft leben, den anderen nicht verletzen, jedem das Seine gewähren” – dem muss man eigentlich nichts hinzufügen. Für mich hatten beide Herren immer den Satz übrig: „Sieh dir die Welt an, bereise sie, lerne interessante Menschen kennen, und falls du den Willen und das Zeug dazu hast, mach was Großes daraus in deinem Leben und verkümmere nicht so wie wir beide im kleinen Schweizer Wallis.“

Wir hatten auch einen kleinen Bauernhof, der für meinen Vater Ausgleich und Hobby zugleich war. Über die Eingangstür hatte er den Spruch schreiben lassen: „Mach es mit Liebe und Herzblut (Leidenschaft), dann hast Du Erfolg.“ Naja, nach dem fünften Glas Brunello wurden sie ganz melancholisch, die beiden, aber als wirklich wichtig erkannte ich schon damals die Beziehung zu und das persönliche Gespräch mit anderen Menschen und anderen Kulturen. Auch die Philosophie und die Sinnfrage verfolgten mich immer nach diesen Diskussionen und sie wurden ein wichtiger Bestandteil meines ständigen Nachdenkens.

An dieser Stelle möchte ich eine hochinteressante Begegnung mit Herrn Dr. Thomas Bauer (Universitätsprofessor aus Deutschland) einfügen. Denn sie passt ideal dazu. Er erklärte uns, wie lebenswichtig „Ambiguitätstoleranz“ sei. Nachfolgend fasse ich seine Ausführungen hierzu kurz zusammen: Der Begriff „Ambiguität“ ist im Deutschen eher weniger gebräuchlich als zum Beispiel im Französischen (ambiguité). Es gilt als Begriff der Mehrdeutigkeit, der Unentscheidbarkeit und Vagheit. Oft wird Ambiguität willentlich erzeugt, zum Beispiel in der Diplomatie, wenn Verträge bewusst nicht eindeutig formuliert werden, um die Zustimmung aller Beteiligten zu erhalten. Stefan Zweig erkannte die Bedeutung von Ambiguität schon 1925. Die Mehrdeutigkeit zwischen Eindeutigkeit und Vieldeutigkeit (Belanglosigkeit), also der Weg der Mitte, erlaubt uns überhaupt ein friedvolles Zusammenleben – die Ambiguitätstoleranz wurde im Mittelalter gelebt.

Im Islam hatte man sich zum Beispiel auf 13 Auslegungen des Korans geeinigt. Heute gilt für Salafisten jedoch nur eine „eindeutige Interpretation“ als die einzig wahre.

Der manische Drang nach Eindeutigkeit ist die Ursache von großem Unheil. Thomas Bauers Buch „Die Vereindeutigung der Welt“ sollte einen Fixpunkt im schulischen Literaturunterricht darstellen. Ben Gurion (aramäisch „Sohn des Sterns“, sein ursprünglicher Name war David Grün), Begründer des Staates Israel, hatte viel Gutes von sich gegeben – unter anderem meinte er: „Ja, beten, meditieren ist schon sehr wichtig, aber was bedeutet das im Konkreten – es bedeutet ständiges Nachdenken“. Wie wahr dieser Ansatz ist! Hier noch einige seiner politischen Aussagen, die mich auch sehr beeindruckt haben:

– Falls er wählen müsste zwischen Frieden oder Beibehaltung der Okkupation der besetzten Gebiete nach 1967 (die geschichtlich ja für die Israelis von großer Bedeutung sind, da man aus der Tora einen Anspruch darauf ableitet) so würde er sich für den Frieden entscheiden und sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen.

– Nicht jede Kritik am Staate Israel sollte sofort mit Antisemitismus verbunden werden (stammt von mir).

„Gleich allen anderen Völkern ist es das natürliche Recht des jüdischen Volkes, seine Geschichte unter eigener Hoheit selbst zu bestimmen. Demzufolge haben wir, die Mitglieder des Nationalrates, als Vertreter der jüdischen Bevölkerung und der zionistischen Organisation, heute, am letzten Tage des britischen Mandats über Palästina, uns hier eingefunden und verkünden hiermit Kraft unseres natürlichen und historischen Rechtes und aufgrund des Beschlusses der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Errichtung eines jüdischen Staates im Lande Israel – des Staates Israel.“

(Ben-Gurion in der israelischen Unabhängigkeitserklärung)

„Wenn ich ein arabischer Führer wäre, würde ich nie einen Vertrag mit Israel unterschreiben. Es ist normal; wir haben ihr Land genommen. Es ist wahr, dass es uns von Gott versprochen wurde, aber wie sollte sie das interessieren? Unser Gott ist nicht ihr Gott. Sie sehen nur eine Sache: Wir kamen und haben ihr Land gestohlen. Warum sollten sie das akzeptieren?“

„Der Gott, an den ich nicht glaube, ist ein jüdischer.“

–Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“

Mein Vater drückte seine Meinung zum so alten wie aktuellen Konflikt in Nahost immer mit folgenden Worten aus:

„Auch die Söhne Israels wurden während ihrer Zeit bei den Ägyptern als Gäste gut behandelt. Die Perser unter Kyros dem Großen haben ihnen geholfen, den Sanhedrin 70 n. Chr. wieder aufzubauen. Warum fällt es den 12 Stämmen Israels so schwer, eine auf Toleranz, Güte und gegenseitigem Respekt beruhende gemeinsame Staatenlösung mit den Söhnen und Töchtern von Ismaels (Halbbruder) zu finden. Und es gilt seit ewig, dass man auch Fehler bei sich selbst suchen muss und einige seiner Verhaltensmuster verändern sollte – wenn einem von einer großen Menge von Menschen nur Hass und Intoleranz (Antisemitismus) entgegenschlägt.“

Meine Reisebeschreibungen und die damit verbundenen wiedergegebenen Gespräche, die nun folgen, kommen schön langsam zum Kern des Buches, nämlich meiner großen Faszination und Leidenschaft: CHOCOLAT.

DIE SUCHE NACH DEM MANNA — TEIL 1

Das Reisen in die weite Welt und somit das Verlassen der kleinen Idylle des wunderschönen Schweizer Bergdorfes war für meinen Vater essentiell.

Er wurde ganz nervös und unruhig, wenn er nicht wegkonnte. Für ihn war es von Anfang an wichtig, dass ich ihn begleitete, ab meinem achtzehnten Lebensjahr war ich seine Chauffeurin, kritische Zuhörerin und begehrte Herzeige-Tochter bei diversen Anlässen. Unsere Reisen innerhalb Europas führten uns sehr oft nach Österreich, das ist zwar jetzt auch nicht unbedingt die große weite Welt, aber mein Vater liebte Österreich. Wien hatte es ihm besonders angetan, der Charme, die Musik, die vielen Theater und Opernhäuser an allen Ecken der Stadt und nicht zuletzt die typische, spezielle Wiener Art zu sprechen, die man unter dem Begriff „Wiener Schmäh“ zusammenfassen könnte, im Gegensatz zur zurückhaltenden, eher reservierten Schweizer Mentalität. Die Wiener meinten immer, die Schweizer würden nachts in den Keller zum Lachen gehen. Aber dazu etwas später mehr. In der Schweiz besuchten wir oft im kleinen Ort Hochdorf die Molkerei Hochdorf AG. Milch (Rahm) ist ein ganz wichtiger Rohstoff bei der Erzeugung von Schokolade und Pralinen.  Hier trafen wir immer wieder Herrn Ingenieur Werner Lorenz. Er war für meinen Vater immer der „Mister Milch“, und wenn er etwas über Milch wissen wollte, griff er zum Telefon, um mit ihm zu sprechen. Herr Lorenz war eigentlich Steirer. Die Steirer bezeichnete mein Vater immer als die sympathischste Spezies der Österreicher.  Sehr leutselig, musikalisch, authentisch, treu und verlässlich.

Oft besuchten wir auch das schöne Engadin. Die einzigartige Landschaft, geprägt von den hohen Bergen, war für meinen Vater immer wieder ein großartiges Erlebnis. St. Moritz und der kleine Ort Tarasp mit seiner kleinen Kirche waren unsere beliebtesten Reiseziele.

Hier trafen wir zwei ganz große Persönlichkeiten der Schweizer Schokoladeindustrie. Hans Ruedi Christen – Chef des größten Schokoladeproduzenten der Schweiz, Chocolat Frey AG. Ein sehr netter Zeitgenosse, ein echter Schweizer, sehr überlegt und immer den Überblick bewahrend, mit ausgeprägtem Hang zur Kontrolle, mit ihm hatte mein Vater eine ausgezeichnete Gesprächsbasis. Und Ernst Tanner, der es als „Big Boss“ geschafft hatte, Lindt zur Weltmarke zu machen. Lindt Schokolade deckt weltweit mehr als 60 Prozent des Premiummarktes ab. Eine großartige Lebensleistung an Konsequenz, Disziplin und Unbeirrbarkeit wie Kompromisslosigkeit in Sachen Qualität, Umsetzung und Führung durch eine große Vision, und das alles auf industriellem Niveau im globalen Wettstreit. Herrn Tanner habe ich als sehr umgänglichen Menschen in Erinnerung, der trotz seiner riesigen Verantwortung und Position immer zuhörte und eine ausgezeichnete Gesprächsbasis mit meinem Vater hatte.

Auf dem Weg nach Wien machten wir immer Halt in Kreuzlingen, um Marcel Leemann zu treffen. Er war auch ein sehr guter Kollege meines Vaters und in der ausgezeichneten Schokoladefabrik Bernrain beschäftigt. Sie werden noch viel hören von ihm in diesem Buch, zu Themen, wo es intensiv um Kakao geht. Wir reisten über Salzburg nach Wien und machten immer einen Stopp in einer der wohl schönsten Gegenden Europas, dem Salzkammergut. Der Blick, wenn man die Straße von der Anhöhe nach St. Gilgen am Wolfgangsee hinunterfährt, vermittelt eine einzige Pracht an landschaftlicher Schönheit. Hier besuchten wir immer Pater David (Steindl-Rast), einen ganz berühmten Benediktinerpater, und seinen Freund, den Jesuitenpater Ignazius. Diese Treffen mit Pater David und Pater Ignazius haben mich so beeindruckt, dass ich hier einen kurzen Auszug der Gespräche mit den beiden wiedergeben möchte.

Pater David zählt zu den beeindruckendsten Persönlichkeiten, die ich in meinem bisherigen Leben kennenlernen durfte. Er lebte einen Großteil seines Lebens in den USA, war Professor an der Cornell University und erhielt ganz viele Auszeichnungen. Nach dem zweiten Vatikanischen Konzil wurde er beauftragt, sich mit dem interreligiösen Dialog zwischen Christentum und Buddhismus zu befassen. Er wurde Zen-Meister und vertrat eine pluralistische Religionstheologie, derzufolge keine Religion „einzig wahrer“ Heilsmittler ist. Laut Pater David entstanden Religionen in einem spezifischen kulturellen und historischen Umfeld und jede Religion könne die gleiche Funktion erfüllen.

Am meisten beeindruckt haben mich seine vielen Bücher, die ich zum Großteil gelesen habe (wie „Credo“ u. a. m.). Seine zentrale Botschaft ist:

„Nicht das Glück ist die Quelle der Lebensfreude, sondern die Haltung der tiefen Dankbarkeit.“

„Da gehört auch der Mist als Humus dazu, der Humor und eine gewisse verbissene Geduld.“

Pater Ignazius, ein sehr gebildeter Jesuit, wartete auch mit viel klugen Aussagen auf.  Wie wichtig sei doch Immanuel Kant gewesen, der uns auf das „Selbst denken“ verwiesen hat und durch die damit einhergehende Zeit der Aufklärung entscheidend zur Entwicklung des christlichen Europa beigetragen hat. Pflichtbewusstsein im Positiven und die Dinge in einem größeren Zeitfenster zu sehen, damit einhergehend eine entsprechende Gelassenheit zu entwickeln, sei ein Gebot der Stunde. Stolz verwies Pater Ignazius auf Papst Franziskus I. (ein Jesuit), der das Christentum unter „Der Name Gottes ist Barmherzigkeit“ zusammenfasst.

Seine Erklärung für die ordnende Hand Gottes hört sich ebenfalls sehr spannend an:  Wenn Sie einen LKW voll Ziegel und vier Paletten Zement neben eine Wasserquelle hinstellen, wird auch kein Haus daraus, sondern es bedarf einer Initiative /eines Willens, um all die Dinge zu einem Haus zusammenzuführen. Es gibt ihn also nicht, den Zufall, den Urknall als Erklärung der Weltentstehung, sondern überall steht eine Ordnung und übergeordnete Macht / Unendlichkeit dahinter, die wir nicht verstehen  – weil unser Geist zu klein ist.“

Und ganz zum Schluss kam dann noch mit einem verschmitzten Lächeln die „3-H-These“ der zu verwendenden Pfeilspitzen, die immer ein Dreieck darstellen: Der dickste, unterste Balken des Pfeiles steht dafür, dass man die Dinge mit Herz (Leidenschaft) machen soll, der mittlere steht für die Basis aller Dinge, dem Humor (über sich selbst lachen zu können), und darüber steht nicht zuletzt die wahre Spitze, das Hirn, das Denken, die Mutter aller Gedanken … Es war immer ein Hochgenuss, den Nachmittag mit den tief gläubigen, aber vor allem humorvollen Herren zu verbringen (die vielen Witze erspare ich Ihnen). Wir besuchten auf unseren Reisen durch das Salzkammergut auch jedes Mal meinen Bruder Ludwig, der damals eine sehr gute internationale Privatschule in St. Gilgen besuchte. Mein Bruder hat großes künstlerisches Talent von meiner Mutter und ihren Vorfahren aus Neapel vererbt bekommen.

In Wien angekommen, kam mein Vater aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Wir nächtigten zuerst immer im Haas-Haus am Stephansplatz (Do&Co) und später im Hotel Triest in der Nähe des Karlsplatzes.

Ein Pflichtbesuch im Café Demel im Zentrum von Wien war unumgänglich. (Kult-Kaffeehaus in Wien). Hier trafen wir meistens zum Abendessen den Doyen der Marken- und Werbewelt,  Herrn Johannes K.  Ein Osttiroler, ein Mann von Welt, dem man anmerkte, dass er es bereits geschafft hatte, im Leben seine Ziele zu erreichen.  Mein Vater mochte ihn sehr, es verband die beiden eine große Freundschaft. Hans hatte ihm schon oft geholfen und war ihm auch in schwierigen Situationen immer treu und verlässlich zur Seite gestanden. Sie waren sich einig darin, dass Loyalität gepaart ist mit Vertrauen und daher vor Transparenz zu stellen ist. Der Frauenwelt schien der gute Hans sehr zugetan zu sein, das merkte man ihm an und – das ist jetzt nicht bös gemeint – er genoss es, wenn ihn die Damenwelt bewunderte. Auch ich erwischte mich, dass er mich faszinierte, obwohl wirklich ein großer Altersunterschied zwischen uns war. Ich hörte ihm gern zu, wenn er sprach, er war kritisch, eloquent, und man spürte seine große Erfahrung, in kurzer Zeit eine Situation zu erfassen und sich eine klare Meinung zu bilden. Er war im Sternzeichen Wassermann und dadurch auch ein uneingeschränkter Freigeist und mit starkem Hang, einmal gefasste Meinungen nicht mehr zu ändern. Meistens begleitete ihn Thomas G., eigentlich aus Krems stammend, der seit längerer Zeit die Außenstelle der Agentur in Los Angeles leitete. Ein wirklich ganz sympathischer Kerl – leider auch zu alt für mich und schon verheiratet. Mein Vater pflegte mir immer einzutrichtern: „Fang dir ja nichts mit einem verheirateten Mann an, die bleiben im Endeffekt meistens immer bei Ihrer Familie und ihrer Frau, und das ist auch gut so!“ Aber der Thomas, wenn ich älter gewesen wäre und er noch nicht verheiratet? Mit beiden unterhielt sich mein Vater immer zum Thema „Kraft der Marke“, und in den nachfolgenden Beiträgen kommen sie ganz groß zu Wort. Bei einem unserer Aufenthalte in Wien wurden wir auch zu einem Vortrag von Karl Habsburg eingeladen, im alten Zuhause der Familie, nämlich der Hofburg.  Er wäre eigentlich der amtierende österreichische Kaiser, wenn es die Monarchie noch gäbe … Gemeinsam mit seinem Vater Otto hatte er uns mehrmals in unserer kleinen Konditorei im Wallis besucht.

Sein Vortrag zur zukünftigen Entwicklung der Europäischen Union und dem Bekenntnis zum Patriotismus war sehr beeindruckend und vielschichtig. „Die Habsburger sind ja eigentlich Schweizer aus dem Aargau“, bemerkte mein Vater ganz stolz, und wenn er Österreicher gewesen wäre, hätte er sich sicherlich als Monarchist geoutet. Daher verstand er es nie, wie die Österreicher mit den Habsburgern umgingen. Er verwies gern auf Hugo Portisch (ein berühmter österreichischer Journalist und ein Lexikon der Zeitgeschichte), der immer sehr wohlwollend von der großen Persönlichkeit und dem hohen ehrenhaften Verhalten von Otto v. Habsburg berichtete.

Mein Vater vertrat den Standpunkt, dass ein militärisch unbedeutendes Land, ein Land mit geringem Bevölkerungsanteil in der Welt, ein Land mit entsprechend unbedeutender Rolle im globalen Spiel der Weltwirtschaft sich nur auf eines besinnen sollte: auf seine bedeutende historische Rolle von über 700 Jahren, die Europa geprägt hat. Und diese Rolle und die mit ihr einhergehenden Errungenschaften sind unausweichlich mit dem Hause Habsburg und seinen großen Persönlichkeiten wie zum Beispiel der Kaiserin Maria Theresia verbunden. Jedes Haus in Wien erinnert an diese große Zeit als Imperium, und Österreich lebt heute davon. Wirklich schlimme Dinge wie in anderen Ländern Europas hat es in Österreich unter den Habsburgern nicht wirklich gegeben. Die Revolutionen in Österreich waren bei weitem nicht so blutrünstig wie in Frankreich. Die österreichische Seele saß lieber gemütlich beim Heurigen, als sich zu Handlungen wie jenen von Danton und Robespierre hinreißen zu lassen. Der Bundespräsident hat heute in Österreich eine hohe moralische Position inne, er hat nicht wirklich große Macht, aber er stellt für den einfachen Bürger, der sich hauptsächlich damit beschäftigt, die Dinge des täglichen Lebens in den Griff zu bekommen, eine Vater- oder Mutterfigur oder noch besser eine Art Ersatzkaiser dar, dem man vertraut, die Geschicke des Staates positiv zu beeinflussen und das Land nach außen hin zu vertreten. Diese Position, von einem Habsburger ausgefüllt, wäre für viele Österreicher kein Problem – wenn die Person eine gute ist, wie in den Ländern Japan, England … Mein Vater wurde nicht müde, dieses Thema in seinen Diskussionen anzusprechen. Sein Vorschlag war immer eine österreichische Lösung, beispielsweise jene, dass man dem Hause Habsburg das Vorschlagsrecht zur Wahl des Bundespräsidenten einräumt – und damit die Nachfahren des Hauses Habsburg wieder einen würdigen Platz in ihrer angestammten Heimat finden lässt. Am liebsten wäre ihm jedoch die Wiedereinführung der Monarchie nach dem Vorbild Englands gewesen. Denn wenn man Österreich heute betrachtet, so stellt diese jahrhundertelange Periode der Zeit als k.u.k. Monarchie die DNA des Österreichers dar. Ganz davon abgesehen fände auch ich es nicht wirklich dramatisch, wenn von der Hofburg ein Habsburger seinem Volk zuwinken würde. Ob man bei den Habsburgern auch bereit wäre, dass so wie in England ihre Privatsphäre eine öffentliche wird, sei dahingestellt. Auch das Führen in einem Staat, der Umgang zwischen den Staaten und Völkern muss gelernt sein, und wem scheint dies besser in die Wiege gelegt zu sein als … Und wenn ein Habsburger die Länder der alten Monarchie besucht, so hat das auch heute noch sicherlich eine andere Wirkung, als wenn zum Beispiel ein Wiener Baumeister als Bundespräsident die Interessen Österreichs vertritt.

Und es gibt wirklich keinen besseren als die Österreicher in Sachen Tourismus und Gastfreundschaft, auch hier wäre eine solche Heimholung von unschlagbarem Wert. Dies ist eben die nicht zu ändernde Macht der Geschichte. Aber was erlaube ich mir hier eigentlich mit der Wiedergabe der politischen Weltanschauung meines Vaters zu Österreich, dies ist Sache der Österreicher und man braucht sicherlich nicht die Meinung eines Schweizer Chocolatiers dazu!

Der Höhepunkt bei unseren Aufenthalten in Wien war der Besuch bei Dr. Carl Manner im 16. Bezirk.  Die älteste Schokoladenfabrik Österreichs seit 1890 hatte sich im Lauf der Zeit zum großen Waffelexperten entwickelt und ist neben der Mozartkugel das eigentliche süße Wahrzeichen des ehemaligen k.u.k. Hofstaates.

Beim Betreten des alten Werkes in Wien Ottakring spürte man die Geschichte, das „Fluchen und Sempern“ der Mitarbeiter auf Wienerisch, das man mithörte, wenn man sich in den großen Produktionshallen und langen Gängen bewegte, vermittelte einem Wien, wie es leibt und lebt … Dr. Carl Manner hatte sein Werk heil über all die großen Krisen gebracht, war seit ewig an der Wiener Börse notiert und führte gemeinsam mit den Familien Riedl und Andres den Familienbetrieb mit großem Erfolg.

Er war Humanist, ein großer Liebhaber der klassischen Musik und Hundefreund sowie ein Autofahrer, der immer viel zu rasant unterwegs war – trotz seines bereits fortgeschrittenen Alters. Im Manner-Werk lernte mein Vater auch Herrn Karl Rickl kennen, ein echter Freund und ganz sympathischer Mensch. Karl war im Mühlenbetrieb seiner Eltern in Niederösterreich aufgewachsen. Laut Erzählungen war er schon als Jüngling eine stattliche Person (heute hat er garantiert über 120 kg) und den schönen Dingen im Leben nie abgeneigt. Karl war Einkaufsleiter und der große Experte und Analyst in Sachen Rohstoff. Er erklärte uns immer, wie die Börse funktioniert und die Kakaopreise sich entwickeln werden. Er war, bevor er seine Karriere bei Manner startete, Getreidehändler in der Ukraine. Hier hatte er einen sehr schweren Unfall, der ihn fast für sein Leben lang in den Rollstuhl gebracht hätte. Wie durch ein Wunder und vor allem durch ärztliches Können überlebte er diesen Vorfall und konnte nach vielen Monaten mit einer implantierten Platinplatte wieder gehen. Dies zeigt uns einmal mehr: Ohne etwas Glück/Zufall /Gottes Hand im entscheidenden Moment geht es nicht. Karl Rickl wird uns nachfolgend alles über das Funktionieren des weltweiten Rohstoffhandels berichten.

Eine der wohl schillerndsten Persönlichkeiten in der Schokoladewelt lernte mein Vater auch bei den Besuchen bei Manner im 16. Bezirk kennen – Johann Georg Hochleitner, einen Salzburger. Neben den Steirern stellen auch die Salzburger eine wohl sehr gute Spezies der Österreicher dar, kunstsinnig, freigeistig, oft auch streng katholisch und sehr fleißig. Mein Vater beschrieb Hochleitners Stärken immer mit der uneingeschränkten Begeisterung und Leidenschaft für das Detail, gepaart mit dem Adlerblick für das Große, seine enorme Sachkenntnis, hohe Kreativität und die unbeschreibliche Beharrlichkeit, mit der er seine unmöglich erscheinenden komplexen Ideen umsetzte – ein Visionär der Branche. Georg war auch dem guten Wein (im Speziellen schwerem Rotwein sowie dem Grünen Veltliner der Marke „Heimkehrer“ und zum Abschluss meistens gutem Portwein) nicht ganz abgeneigt, und so trafen wir ihn meistens abends zu fortgeschrittener Stunde im MAK am Stubenring (Museum für moderne Kunst – samt Gasthaus), da er sich meistens vorher noch eine Ausstellung anschaute. Die Nächte mit ihm wurden meistens sehr, sehr lange. Es war ungemein amüsant zuzuhören, wenn er die Geschichten seiner Unternehmungen erzählte. Er hatte viel erfunden und kreiert. Eine lange Liste von Kreationen, die er als wirklich weltweit erster in Umlauf gebracht hatte, gab es da, die wohl verrückteste Geschichte war die seiner Kamelmilchschokolade. Er erzählte uns von seinen großen Erfolgen, aber auch dramatischen Niederlagen – er erzählte spannend und ausführlich im Detail, so dass ich unbedingt versuchen muss, einen kleinen Auszug davon wiederzugeben. Georg hatte sich intensiv mit den Milchsorten dieser Welt beschäftigt, von Yakmilch, Rentiermilch bis hin zu Kamelmilch. Das Kamel faszinierte ihn. Es hat nicht runde, sondern ovale Blutkörperchen und regelt seinen Wasserhaushalt über den osmotischen Druck auf eine einzigartige Art und Weise, so dass es 30 Tage ohne Wasser auskommen und innerhalb von Minuten ein Drittel seines Körpergewichtes an Flüssigkeit zu sich nehmen kann, ohne dabei tot umzufallen. Es hält die extremen Temperaturschwankungen aus, hat ganz spezielle Augenlider, die es bei Sandstürmen schützt, und seine „Platten“ am Ende des Beines ermöglichen es ihm, sich ausgezeichnet im Wüstensand zu bewegen.

Das Kamel hat aber auch einen starken Charakter – in der arabischen Welt werden unendliche Geschichten über das Verhalten des Kamels erzählt – so wie die eine, in der das Kamel sich an jemandem, der es geschlagen und schlecht behandelt hatte, rächte, indem es sich auf ihn, frühmorgens, als er schlief, einfach draufsetzte. Dies sind nur einige der markanten Merkmale dieses einzigartigen Tieres. Es ist im Koran oft erwähnt und hat eine immense Bedeutung in der arabischen Kultur. Gewisse Kamelrassen geben eben auch einiges an Milch (2 500 l pro Jahr).  Überdurchschnittlich hohe Werte an natürlichen Vitaminen und Mineralstoffen ergeben die wohl gesündeste Milch der Welt (ca.1,8 % Fett). Viele Mythen umgeben die Kamelmilch, aber davon an anderer Stelle. Georg  begab sich also auf die Reise, um zu Kamelmilch zu kommen. Die bereits tragisch verstorbene, schillernde politische Persönlichkeit in Österreich, Dr. Jörg Haider, brachte ihn in Kontakt mit dem Sohn des Herrn Muammar al Ghadafi. Aber in Lybien waren einfach die hygienischen Gegebenheiten eine Katastrophe. Danach führte ihn sein Weg über Kasachstan nach Abu Dhabi und Dubai. Nach extremen Rückschlägen und Schwierigkeiten kam er in Kontakt mit HH Sheikh Mohammed bin Rashid al Maktoum von Dubai. Dieser hatte gerade die modernste Kamelfarm mit über 5 000 Kamelen samt angeschlossener Molkerei mitten in der Wüste errichtet. Nach vielen Gesprächen und Verhandlungen startete man das gemeinsame Projekt „Al Nassma“ (der Name eines Wüstenwindes), durch Gründung einer gemeinsamen Firma in Dubai die weltweit erste Kamelmilchschokolade zu produzieren. Georg entwickelte gemeinsam mit Ingenieur Wolf Zieger im Hause „Chocolat Manner“ die Rezepturen. Doch die Hürden waren hoch, man musste die frische Milch trocknen und sie zur Produktion nach Wien bringen, was wiederum große veterinärtechnische Problemstellungen mit der Europäischen Union mit sich brachte. Nach vier Jahren eisernen Willens und mit Disziplin und Glauben an die Sache brachte man das Schokoladenbaby „Al Nassma“ im Oktober 2008 in Dubai zur Welt. 14 Tage später erfasste die große Finanzkrise durch Lehman Brothers auch Dubai, und alle Baukräne standen für einige Zeit still. Aus dieser Zeit kursiert auch der Spruch, man möge doch in Zukunft bei Finanzfragen mehr auf „Lehman Sisters“ vertrauen, da Frauen einfach einen besseren Zugang zu und Umgang mit Geld aufweisen. Heute ist „Al Nassma“ die einzige Schokolade aus der arabischen Welt, die es geschafft hat, auf der internationalen Bühne nachhaltige Aufmerksamkeit zu erlangen.

Georg hatte seinen Kopf aber schon wieder voll mit neuen Ideen und Ansätzen, die ihn beschäftigten, das Schicksal von kreativen Geistern, dass sie nicht still und bei einer Sache bleiben können. Sein nächstes Projekt sollte eine Büffelmilchschokolade für Italien und ein Schokoladetruthahn zu Thanksgiving für die USA sein. Wirklich intensiv in der Diskussion mit meinem Vater wurde es aber nach dem fünften Glas Wein, da kam wieder die Philosophie ins Spiel. Georg war ein Verfechter der anarchistischen Erkenntnistheorie, die ein Wiener Philosoph namens Paul Feyerabend aufgestellt hat. Laut Feyerabend (1924–1994) entsteht keine wissenschaftliche Theorie oder neue Errungenschaft in Form eines rationalen, vorgegebenen Denkschemas. Mit seinem Satz: „Anything goes“ – auf wienerisch: „Irgendwos ged imma“ – wurde er schnell berühmt. Schon Albert Einstein brachte mit seinem berühmten Bild – auf dem er dem gesamten wissenschaftlichen Betrieb die Zunge zeigt, und damit zum Ausdruck bringt, man könne ihn mal – zum Verständnis, dass kein Wissenschaftler so gut organisiert arbeitet, wie es zum Beispiel Herr Popper vorschreibt. Forschungen, kreative Prozesse und nicht nur diese beruhen auf mangelndem Respekt, auf produktiven Irrtümern, auf arroganter Ignoranz, auf Träumen, auf Intuitionen gegenüber vorherrschenden Regeln, durchaus auch auf einer ausgeprägten Tendenz zur Unordentlichkeit. Alle Großen dieser Welt wie Einstein, Newton, Freud oder Chomsky – sie haben bei aller Unterschiedlichkeit doch die Gemeinsamkeit, dass sie wie Künstler davon ausgehen, alles könne auch ganz anders erklärbar sein. Gute Wissenschaft ist anarchistisch. Jede Position kann konterkariert werden, man ist auf radikalen Pluralismus angewiesen – es gibt keine autoritäre Letztinstanz. Laut Paul Feyerabend sollten freie Bürger jeder Expertokratie misstrauen. Er stellt die verlässlichen, auf Rationalität beruhenden Regeln in Frage und schlägt Antiregeln vor. Wissenschaft hat für ihn mehr mit Kunst zu tun, als vielen Wissenschaftstheoretikern lieb ist.

Na, das reicht jetzt aber, nach so viel Philosophie muss ich auch noch unbedingt erwähnen, dass Georg und mein Vater gemeinsam einige Kakaoplantagen sowie Vanilleplantagen besucht haben. Eine davon war die Plantage von Conacado in der Dominikanischen Republik sowie für Vanille in Papantla-Veracruz/Mexiko und Madagaskar. Er wird uns davon noch erzählen. Die Suche nach dem wahren Manna und in die Welt des Kakaos führte uns in die weite Welt, lesen Sie davon im nächsten Kapitel.

DIE SUCHE NACH DEM MANNA — TEIL 2

Die Suche nach dem wahren Manna aus der Bibelgeschichte war für meinen Vater sehr wichtig. Deshalb reisten wir nach Israel / Tel Aviv und trafen dort einen guten Freund meines Vaters, Rabbi Ariel Goldmann, sowie Jeshajahu Leibowitz. Rabbi Ariel wusste auf alles eine Antwort. Deshalb war es ungemein angenehm, mit ihm zu sprechen, man lernte daraus jedes Mal. Zum Thema „Manna“ sagte er uns im Grunde Folgendes:

Eine ältere Deutung interpretiert Manna als die Thalli der im Nahen Osten verbreiteten, essbaren Mannaflechte (Lecanora esculenta). Die Einheitsübersetzung der Bibel verweist auf das Harz der Manna-Tamarisken, macht aber gleichzeitig deutlich, dass dieses in zu geringen Mengen vorkommt, um der Speisung einer größeren wandernden Gruppe zu dienen. (Anmerkung zu 2 Mos 16,31 EU). Einer weiteren Theorie zufolge ist Manna ein Ausscheidungssekret von im Sinai auf Tamarisken lebenden Schildläusen, eine Flüssigkeit, die meist nachts in Form von glasartig durchsichtigen, zuckerreichen Wassertröpfchen ausgeschieden wird und infolge Kristallisation nach wenigen Tagen eine milchigweiße bis hellgelb bräunliche Färbung annimmt. Bei den in Frage kommenden Schildläusen handelt es sich vorwiegend um die Arten Najococcus serpentinus und Trabutina mannipura. Manna ist also eine besondere Art von Honigtau.

Rabbi Ariel vermittelte uns einen Kontakt im Iran, an den wir uns wenden sollten – und mein Vater und ich beschlossen, dass uns die nächste Reise ins alte Persien führen würde. Und er erwähnte hierbei ganz unerwartet, dass Kyros der Große im 1. Jahrhundert nach Christus den Juden geholfen hat, den Sanhedrin nach dessen Zerstörung aufzubauen. Es gibt also auch etwas Verbindendes zwischen Juden und Persern. Auf die Frage meines Vaters an Rabbi Goldmann, welche Geschichte aus dem Talmud er uns noch kurz erzählen möchte, gab es folgende spannende Erzählung zu hören:

Die Geschichte von Rabbi Hillel und Rabbi Schammai Tanu rabanan (Babylonischer Talmud):

Zweieinhalb Jahre trennte ein wilder Streit die Schüler Schammais und Hillels. Die ersten sagten: Es wäre für den Menschen besser gewesen, wenn er nicht geboren wäre. Ihre Gegner vertraten die Ansicht: Das Leben ist ein Segen für die Lebenden. Nach einer dreißig Monate währenden Debatte wurde über die Frage abgestimmt, und diesmal obsiegte die Schule Schammais. Zum Schluss ließ sich eine himmlische Stimme vernehmen: „Alle habt ihr Recht; denn die einen und die anderen geben das lebendige Wort Gottes weiter.“ Dennoch war es die Interpretation der Hillel-Schüler, die den endgültigen Sieg davontrug. Wenn etwas wahr ist, kann das Gegenteil nicht ebenfalls wahr sein?

Diese Frage wie auch die Antwort darauf liegen in der Geschichte selbst. Das Gesetz stellt sich auf deren Seite, weil sie menschenfreundlicher, toleranter und demütiger sind, sie unterlassen es nie, das Argument ihres Gegners zu nennen, bevor sie ihre eigenen Argumente ins Feld führen. Wir haben seit Moses gelernt, dass die Tora Gott nicht mehr gehört, weil er sie uns geschenkt hat. Der Mensch allein besitzt das Recht, sie zu interpretieren. Die Tora hat ihren Sitz nicht im Himmel. „Du sollst dich für das Leben entscheiden“, befiehlt uns die Schrift. So viel steht fest, der Talmud wäre nicht das, was er ist, wäre ihm nicht eine dauernde Konfrontation zwischen Ideen und Prinzipien inne, ein tiefer Widerstreit zwischen Strenge und Milde und eine Feier des Wortes und der Erinnerung. Diese deprimierende Geschichte bot dem großen jüdischen Humoristen Scholem Aleichem Anlass zu folgendem Kommentar: „Natürlich ist es besser, überhaupt nicht geboren zu werden, aber wer bekommt schon diese Chance? Von einer Million vielleicht einer.“

Hillel wurde in Babylon geboren und kehrte nach Jerusalem zurück, wo er über vierzig Jahre lang an der Spitze des Sanhedrin stand. Er erreichte gleich wie Moses das Alter von 120 Jahren. Schammai war eine rätselhafte Gestalt, seltsam verschlossen und schwer zugänglich. Nichts kann und darf das Gesetz aufhalten, weder Gefühle noch Tränen oder Mitleid, absolut nichts, nicht einmal ein Gedanke. Das heißt, dass für Schammai die Absicht genauso zählte wie die Tat. Das Gesetzt untersteht dem Absoluten. Schammai war unnachgiebig und kannte kein Mitleid. Für Schammai war die Schriftauslegung an den Wortlaut gebunden, während Hillel ihr eine poetische Dimension zuerkannte.

Hier noch eine Geschichte: Ein Heide suchte Schammai auf und bat ihn, ihm die gesamte Tora beizubringen, und zwar so schnell, wie er auf einem Bein stehen könne. Schammai musste sich zusammenreißen, um ihn bis zum Ende anzuhören, aber dann jagte er ihn ohne Angabe von Gründen hinaus. Natürlich begab sich der ungeduldige Schüler auch zu Hillel, der ihn mit offenen Armen empfing und ihm sagte: „Jawohl, mein Sohn, du sollst die Tora in noch kürzerer Zeit als gewünscht kennenlernen. Hör mir gut zu, denn das ist das Kernstück des Gesetzes: Was du nicht willst, das man dir tu, das füge auch keinem anderen zu. Alles Übrige ergibt sich daraus. Und jetzt geh und fang an zu studieren.“  Dies ist heut noch in einem Bild in der Knesset festgehalten.

Gott allein hat immer Recht; nur er allein kennt die ganze Geschichte; wir sehen lediglich Fragmente. Die Wahrheit des Menschen kann nur Stückwerk bleiben und ist begrenzt. Trotz Leiden, Prüfungen und Ungerechtigkeit und dem Tod zum Trotz lohnt das Leben, gelebt zu werden. Denn es ist nicht Sache des Menschen, Ort und Zeit seiner Geburt zu wählen; aber es ist seine Aufgabe, seiner Existenz eine Richtung, das heißt einen Sinn zu geben, einen Sinn für das Absolute, und damit das Absolute zu rechtfertigen. Diese Schlussfolgerung unterschreiben beide Schulen. Niemand von uns weiß, warum er lebt, oder vielmehr, warum er, er und nicht ein anderer, überlebt hat. Für uns ist jeder Augenblick ein Augenblick der Gnade und jedes Lebewesen eine Quelle des Staunens und der Dankbarkeit. Ich weiß, dass das Geheimnis unserer Existenz nicht enthüllt werden kann. Und akzeptiere es.

Wir, die Juden, haben scheinbar Angst vor dem Frieden. Vorbehalte gegen unser Volk gibt es viele. Dies ist sicherlich durch Handlungen von Israelis geprägt – solche Personen gibt es übrigens bei jeder Volksgruppe dieser Welt – die durch extremes Fehlverhalten diese Vorurteile begründen oder bestärken. Aber diese Vorurteile bestehen auch aufgrund unseres Umgangs miteinander. Wir bauen gerne überzogene Extrempositionen auf und im Streitgespräch wird intensiv diskutiert und man nähert sich der Mitte. Der Rabbi empfahl uns auch für den Aufenthalt in Persien einen Imam (Sufi), der eine Rose im Turban hat, in Isfahan aufzusuchen – doch davon später in einem anderen Buch.

Ein ganz großer Geist aus Israel ist Jeshajayhu Leibowitz (leider schon verstorben). Er war ein großer Verfechter der Lehransätze von Moses ben Maimonides (dem einzigen, dem es zusteht, nach Moses diesen Namen zu tragen). Mein Vater sprach mit ihm über das weite Thema „Determination“ im Leben, Leibowitz brachte auch Auszüge aus dem Tao Te King von Laotse, die mir sehr zu denken gaben.

Die Essenz der Gespräche meines Vaters mit ihm versuche ich kurz wiederzugeben (teilweise enthalten sie Auszüge aus Maimonides‘ Hauptwerk „Führer der Unschlüssigen“):

Die Frage, ob die Welt determiniert ist oder nicht, bildet die größte Auseinandersetzung in der Wissenschaftsphilosophie der Neuzeit. Für den Menschen, der um des Glaubens willen glaubt, existiert dieses Problem nicht. Ist dies nicht außerordentlich problematisch? Das ist für denjenigen problematisch, der sich mit der Situation nicht zufrieden gibt und fordert, dass es dem Gerechten gut gehen soll. Aber mit welcher Berechtigung fordert er das? Genau hierin liegt das Problem des Hiob-Buches. Die Auslegungen zu Hiob sind weitverzweigt und vielfältig. Ich denke jedoch, dass die eigentliche Aussage des Buches gerade von Moses ben Maimonides getroffen wird. Er sieht das Entscheidende darin, dass der Verfasser des Buches Gott eine Antwort an Hiob in den Mund legt, die sich über drei Kapitel streckt und in der es keinen Verweis auf eine Belohnung des Gerechten und eine Bestrafung des Übeltäters durch Gott gibt. Die Antwort Gottes in Kapitel 39-42 (Buch Hiob) können wir wie folgt zusammenfassen: Das ist meine Welt; nun musst du, Hiob, entscheiden, ob du bereit bist, die Herrschaft Gottes in dieser Welt, so wie sie ist, zu akzeptieren. Ich bin dir keine Antwort auf deine Frage, warum diese Welt so ist, schuldig. Dies ist meine Welt und sie ist nicht herrenlos, das gilt für das Licht, das Nilpferd und den Leviathan. Das großartigste Wort im ganzen Hiob-Buch aber ist: Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen, aber nun hat mein Auge dich gesehen. Deshalb verwerfe ich (meine frühere Meinung) und bereue über Staub und Asche. Um diese Erkenntnis zu verstehen, ein Auszug aus den Schriften von Moses ben Maimonides: (Musa bin Maimun/Moshe ben Maimon, 1135 n.Chr. in Cordoba geboren und 1204 in Kairo gestorben): Auszug aus „Führer der Unschlüssigen“ – Von der natürlichen Beschaffenheit des Menschen – Kapitel 8:

Dem Menschen kann nicht gleich ursprünglich von Natur eine Tugend oder ein Fehler anerschaffen sein, ebenso wie ihm nicht gleich von Natur der Besitz irgendeiner praktischen Kunstfertigkeit anerschaffen sein kann. Wohl aber kann ihm die Disposition zu einer Tugend oder einem Fehler anerschaffen sein, so dass ihm die derselben entsprechenden Handlungen leichter werden als andere. Es neigt sich jemandes Temperament mehr zur Trockenheit, die Substanz seines Gehirnes ist klar und enthält nur wenig Feuchtigkeit: einem solchen wird es leichter werden, etwas im Gedächtnisse zu behalten und Denkobjekte zu verstehen, als einem Phlegmatischen, der viel Feuchtigkeit im Gehirne hat. Wenn nun aber jener durch sein Temperament zu dieser geistigen Tüchtigkeit Disponierte durchaus ohne Unterricht gelassen und keine seiner Kräfte richtig geleitet wird, so bleibt er ohne Zweifel unwissend. Ebenso wird aber auch dieser von Natur Stumpfe, mit einer Menge Feuchtigkeit behaftete, wenn er unterrichtet und sein Verstand gebildet wird, Wissen und Verstandestüchtigkeit, jedoch nur mit Schwierigkeit und Anstrengung, erlangen. In ganz derselben Weise wird jemand, dessen Herz ein etwas hitziges Temperament hat, als gerade recht ist, tapfer, ich meine: zur Tapferkeit disponiert sein, so dass er, wenn man ihn (noch dazu) tapfer zu sein lehrt, mit Leichtigkeit wirklich tapfer wird. Hingegen wird ein anderer, dessen Herz ein kälteres Temperament hat, als gerade recht ist, zu Feigheit und Mutlosigkeit disponiert sein, so dass er, wenn man ihn (noch dazu) feige und mutlos zu sein lehrt und gewöhnt, diese Gewohnheit mit Leichtigkeit annimmt.  Hält man ihn aber zur Tapferkeit an, so wird er zwar nur mit einiger Anstrengung, aber wenn man ihn nur unablässig daran gewöhnt, doch endlich etwas tapfer werden. Du aber wisse, ein von unserer Religion und der griechischen Philosophie auf Grund einer durch die bündigsten Beweise erhärteten Gewissheit übereinstimmend gelehrter Satz ist der, dass alle Handlungen des Menschen ihm anheimgestellt sind, indem er hinsichtlich ihrer weder irgend einem Zwange noch irgend einem Einfluss von außen unterliegt, der ihn zu einer Tugend oder einem Fehler hintriebe; sondern es gibt (in ihm), wie wir auseinandergesetzt haben, nur eine Temperaments-Disposition, durch welche (ihm) etwas leicht oder schwer wird;  dass er es aber tun müsse oder nicht tun könne, ist durchaus nicht wahr.

Wäre der Mensch zu seinen Handlungen gezwungen, so wären die Gebote und Verbote des göttlichen Gesetzes zweck- und nutzlos und alles dies wäre reiner Unfug, da ja der Mensch in dem, was er tut, keine freie Wahl hätte. Ebenso würde so wie des Erlernens irgendwelcher praktischen Künste folgen, und alles dies wäre eitel Spielerei, da ja, nach der Lehre der Anhänger dieser Meinung, der Mensch durch einen von außen auf ihn einwirkenden Antrieb unumgänglich genötigt wäre, die und die Handlung auszuüben, die und die Kenntnisse zu erwerben, die und die Charaktereigenschaft anzunehmen. Dann wäre auch jede Belohnung und Bestrafung reine Ungerechtigkeit, statthaft weder von Seiten der Einen von uns gegen andere, noch von Seiten Gottes gegen uns. Denn wenn dieser Simon, der den Räuber tötet, unter der Gewalt einer zwingenden Notwendigkeit tötet und der Andere unter der Gewalt einer zwingenden Notwendigkeit getötet werden muss, warum sollten wir dann Simon bestrafen und wie wäre es ihm, dem Allerhöchsten, der „gerecht und gerade“ ist, möglich, ihn wegen einer Handlung zu bestrafen, die er notwendig verüben musste, die nicht zu verüben er, auch wenn er es gewollt, doch nicht vermocht hätte? Vergeblich wären dann auch durchaus alle Vorkehrungen (der Menschen), wie die Erbauung von Häusern, die Anschaffung von Nahrungsmitteln, das Fliehen beim Eintritt einer Gefahr usw., weil das, was einmal bestimmt wurde, dass es geschehe, notwendig geschehen müsste. Dies alles aber ist durchaus undenkbar und falsch, widerstreitet aller geistigen Erkenntnis und Sinneswahrnehmung, reißt die Mauer des Religionsgesetzes nieder und misst Gott Ungerechtigkeit bei, Ihm, der darüber hocherhaben ist. Die keinem Zweifel unterliegende Wahrheit ist allein diese, dass alle Handlungen des Menschen ihm selbst anheimgestellt sind: will er etwas tun, so tut er es, will er es unterlassen, so unterlässt er es, ohne irgendwelchen ihn dazu nötigenden oder ihm Gewalt antuenden Zwang.

Hieraus nun folgte notwendig die Verpflichtung (des Menschen) zur Gesetzeserfüllung; Gott sprach: „Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse, wähle das Leben!“  und er ließ uns hierin freie Wahl. Weiter folgten daraus die Bestrafung derjenigen, welche dem Gesetze zuwiderhandeln, und die Belohnung derjenigen, welche ihm gehorchen. (wie es heißt): „Wenn ihr gehorchen werdet, und wenn ihr nicht gehorchen werdet.“ – Ferner folgte daraus das Lernen und Lehren (wie es heißt): „Ihr sollt sie lehren euren Kindern – ihr sollt sie lernen und beobachten, um sie auszuüben“. Was aber den  bei den Weisen vorkommenden Ausspruch betrifft: „Alles ist in Gottes Hand mit Ausnahme der Gottesfurcht“, so ist er wahr und geht auf eben das hin, was wir gesagt haben. Es verhält sich zum Beispiel genauso mit dem, welcher eines Anderen Geld und Gut raubt oder stiehlt oder veruntreut und es dann ableugnet und über desselben Geld und Gut, der einen (falschen) Eid gegen ihn schwört; sagen wir, Gott habe für den Ersten die Vorherbestimmung getroffen, dass jenes Geld und Gut in seinen Besitz komme, hingegen jenem Anderen verloren gehe, so hätte ja Gott über eine Gebotsübertretung Vorherbestimmung getroffen.

So aber ist es nicht, sondern nur bei allen freiwilligen Handlungen des Menschen findet ohne Zweifel Gesetzesbefolgung oder Gesetzesübertretung statt. Religiöse Gebote und Verbote haben nur auf jene Handlungen Bezug, bei welchen der Mensch die freie Wahl hat, sie auszuüben oder zu unterlassen.

Mit dem Wort „Alles“ meinen die Weisen also nur die natürlichen Dinge, hinsichtlich deren der Mensch keine freie Wahl hat, wie zum Beispiel, dass er groß oder klein ist, dass es regnet oder dürre ist, dass die Luft ungesund oder gesund ist …

Hierbei ist dem Ausspruche Jeremias‘ zu folgen, der also lautet: „Aus dem Munde des Höchsten geht nicht das Böse und das Gute hervor“  –  denn das „Böse“ bedeutet die bösen, das „Gute“ die guten Handlungen, und demnach sagt er, Gott bestimme nicht vorher, dass der Mensch das Böse oder das Gute tun soll. Es ist auch wahr gesprochen, dass das Stehen und Sitzen und alle Bewegungen (Tätigkeitsäußerungen) des Menschen nach dem Willen und Beschlusse Gottes geschehen, doch nur in einem gewissen Sinne, nämlich so, wie wenn jemand einen Stein in die Luft wirft, dieser daraufhin herabfällt, und wir sagen, er sei nach Gottes Willen herabgefallen. Man sagt jedoch, der (göttliche) Wille sei bei jeder Sache immerfort von neuem wirksam. Wir aber sind nicht dieses Glaubens, sondern der (göttliche) Wille bestimmte alles in den sechs Schöpfungstagen und alle Dinge haben beständig ihren naturgemäßen Verlauf, wie er (Salomo) sagt: „Was gewesen ist, dasselbe wird sein, was geschehen ist, dasselbe wird geschehen, und nichts Neues gibt es unter der Sonne.“  Alles zusammengenommen also hast du zu glauben, dass, so wie Gott gewollt hat, dass der Mensch aufrechte Gestalt, breite Brust und Finger und Zehen habe, er auch gewollt hat, dass der Mensch von selbst tätig oder untätig sei und nach freiem Willen handle, ohne von irgendetwas gezwungen oder verhindert zu werden – laut seiner Aussage in der Schrift: „Siehe, der Mensch ist geworden wie einer von uns, zu erkennen Gutes und Böses.“  Da dies nun notwendig dem Wesen des Menschen gegeben ist, nämlich dass er nach seiner freien Wahl, wann er will, das Gute oder das Böse tut, so müssen ihn die Wege des Guten gelehrt, müssen ihm Gebote und Verbote gegeben, Strafe und Lohn zugeteilt werden, was alles eine Forderung der Gerechtigkeit ist.  Jede Handlungsweise lässt sich ändern, sowohl durch Wendung vom Guten zum Schlechten als auch durch Wendung vom Schlechten zum Guten. Es bleibt nun nur noch der irrige Gedanke zu klären, dass Gott die gesetzwidrige Tätigkeit vorherbestimme und (die Menschen) dazu zwinge. Wenn nämlich der Pharao und sein Gefolge nichts anderes verschuldet hätten, als dass sie die Israeliten nicht frei gaben, so wäre die Sache zweifelsohne schwierig; denn erst hätte Gott jene abgehalten diese freizugeben, wie er sagt: „Denn ich habe verstockt sein Herz und das Herz seiner Diener“, dann vom Pharao verlangt, sie freizugeben, während dieser gezwungen war, sie NICHT freizugeben, darauf ihn gestraft, weil er sie nicht freigegeben hatte, und ihn und sein Gefolge untergehen lassen. Dies wäre eine große Ungerechtigkeit. Doch der Sachverhalt ist anders, der Pharao sündigte aus eigenem freiem Willen, ohne Nötigung und Zwang, indem er sagte: „Siehe, das Volk der Kinder Israels ist zahlreicher und stärker als wir. Wohlan, lasset uns dasselbe überlisten.“ Die Strafe nun, welche Gott ihnen dafür auferlegte, bestand darin, dass er sie von der Bekehrung abhielt, auf dass sie dann von derjenigen Strafe betroffen würden, hinsichtlich derer die göttliche Gerechtigkeit bestimmt hatte, dass gerade dies ihre Strafe sein sollte. Denn Gott kennt die Sünder, und seine Weisheit und Gerechtigkeit bestimmen das Maß der Strafe – so bestraft er bald nur in dieser Welt, bald nur in jener Welt, bald auch in allen beiden!

Wir haben aber nicht nötig, mit Gottes Weisheit bis zu dem Grade bekannt zu sein, dass wir wüssten, weshalb er gerade diese Art der Strafe und nicht die und die andere angewendet hat, ebensowenig als wir wissen, welches die Ursache ist, die sie bewirkt. Ein großes offenkundiges Wunderzeichen für alle Menschen liegt darin – wie es heißt: „damit man meinen Namen rühme auf der ganzen Erde“ –, dass Gott nämlich den Menschen bisweilen dadurch straft, dass er es ihm unmöglich macht, kraft seiner Willensfreiheit irgendetwas zu tun, während der Mensch selbst dies weiß, dabei aber doch nicht im Stande ist, seine Seele auch nur versuchsweise dieser Gebundenheit zu entziehen und zu jener Willensfreiheit zurückzuführen. Und so hat Gott auch dem Propheten Jesaja kundgetan, dass er einige Ungehorsame dadurch strafe, dass er ihnen die Bekehrung unmöglich mache und ihnen hinsichtlich derselben keine Willensfreiheit lasse, wie es heißt: „Verstockt bleibe das Herz dieses Volkes und seine Ohren schwer und seine Augen stumpf, dass es nicht sehe mit seinen Augen und höre mit seinen Ohren und sein Herz nicht einsehe und sich bekehre und wieder genese.“

Es ist noch ein Punkt übrig, über den wenige Worte zu sagen sind. Dieser Punkt ist das Wissen Gottes von den seienden und werdenden Dingen. Höre also, was ich sagen werde, und überlege es wohl; es ist ohne Zweifel die Wahrheit. Es steht nämlich in der Wissenschaft vom Göttlichen (Metaphysik) als erwiesen da, dass Gott der Allerhöchste nicht wissend ist durch irgendein Wissen und nicht lebend durch irgendein Leben, so dass er und das Wissen zwei verschiedene Dinge wären, wie der Mensch und sein Wissen; denn der Mensch ist etwas anderes als das Wissen und das Wissen etwas anderes als der Mensch, und darum sind sie zwei verschiedene Dinge. Wäre aber Gott wissend durch irgendein Wissen, so würde daraus eine Mehrheit folgen und der urewigen Dinge wären mehrere. So steht fest, dass Gott mit seinen Eigenschaften identisch ist und ebenso seine Eigenschaften mit ihm selbst identisch sind. Er sei also das Wissen und zugleich der Inhaber und der Gegenstand des Wissens, er sei das Leben und zugleich das Lebende und der sein Wesen, das Leben, den Geschöpfen mitheilende, und ebenso hinsichtlich der übrigen Eigenschaften. Aber dies sind schwer fassliche Sätze, die du nicht hoffen darfst, durch zwei Zeilen meiner Abhandlung vollkommen begreifen zu lernen. Es steht in der Metaphysik ferner als erwiesen fest, dass es unserem Verstande nicht möglich ist, das Wesen Gottes vollkommen zu begreifen, und zwar wegen der Vollkommenheit seines Wesens und der Mangelhaftigkeit unseres Verstandes, und weil es keine Mittel gibt, durch welche sein Wesen erkannt werden könnte; ferner, dass das Unvermögen unseres Verstandes, dasselbe zu erfassen, dem Unvermögen des Augenlichtes gleicht, das Sonnenlicht zu erfassen; denn dies kommt auch nicht von der Schwäche des Sonnenlichtes, sondern davon, dass dieses Licht stärker ist als dasjenige, von welchem es erfasst werden soll. Denn die vollkommene Erkenntnis Gottes besteht darin, dass er erfasst wird, wie er in seinem Wesen ist: in dem Wissen, der Macht, dem Willen, dem Leben und seinen anderen herrlichen Eigenschaften. Hiermit haben wir gezeigt, dass das Nachdenken über Gottes Wissen reine Torheit ist. Nur das wissen wir, dass er wissend ist, ebenso wie wir wissen, dass er IST. Aus allem dem, was wir gesagt haben, hat sich also ergeben, dass die Handlungen des Menschen ihm überlassen sind und es ihm frei steht, tugendhaft oder lasterhaft zu sein, ohne dass er von Seiten Gottes irgendwie zu einer dieser beiden Handlungsweisen gezwungen würde; und dass hieraus auch die Notwendigkeit der Pflichtanweisung, des Unterrichtes, des Treffens von Vorkehrungsmaßregeln sowie die Belohnung und Bestrafung hervorgeht. In all diesem liegt keine Schwierigkeit.Was aber die Beschaffenheit von Gottes Wissen und die Art, wie er Alles erkennt, betrifft, so ist, wie wir dargelegt haben, unser Verstand unfähig, es zu begreifen.

Einige Auszüge aus dem Tao Te King von Laotse, die mir zur Erlangung einer gewissen Erkenntnis sehr wichtig scheinen:

Beim Wohnen ist der geeignete Platz wesentlich,

beim Denken die Tiefe,

beim Umgang mit anderen die Güte,

beim Reden die Ehrlichkeit,

beim Regieren die Gerechtigkeit,

beim Arbeiten das Können,

beim Handeln der richtige Zeitpunkt!

Wo kein Streit ist, da ist auch keine Schuld.

Man formt Ton zu einem Gefäß, doch erst durch das Nichts im Inneren kann man es benutzen. Man macht Fenster und Türen für das Haus, doch erst durch ihr Nichts in den Öffnungen erhält das Haus seinen Sinn. Somit entsteht der Gewinn durch das, was da ist, erst durch das, was nicht da ist.

Zum Ursprung zurückkehren heißt: in die Stille gehen. In die Stille gehen heißt: zu seiner Bestimmung zurückkehren. Zu seiner Bestimmung zurückkehren heißt: das Ewige erkennen. Das Ewige erkennen heißt: erleuchtet sein.

Gib die Heiligkeit auf und verzichte auf Weisheit; das ist für alle hundertmal besser. Gib die Güte auf und verzichte auf Gerechtigkeit, und alle Menschen werden die Liebe neu entdecken. Gib die Findigkeit auf und verzichte auf Gewinnsucht, und Räuber und Diebe werden verschwinden.

Mit diesen drei, die falscher Schmuck sind, ist es nicht genug. Die Menschen müssen etwas haben, das ihnen Halt gibt. Entfalte das Schlichte und mach dir das Wesen des unbehauenen Holzklotzes zu eigen, vermindere deine Selbstsucht und gib auf die Begierden.

Als der Weg verlorenging, tauchte die Tugend auf. Als die Tugend verlorenging, tauchte die Güte auf. Als die Güte verlorenging, tauchte die Gerechtigkeit auf. Als die Gerechtigkeit verlorenging, tauchte die Moral auf. Die Moral ist eine Verkümmerung von Vertrauen und Treue und der Anfang der Verwirrung; Das Wissen um die Zukunft ist nur eine blühende Falle am Rande des Weges und der Anfang der Torheit. Darum lebt der Weise in der Wirklichkeit und nicht an der Oberfläche.

Er lebt im Sein und nicht im Schein.

Er lässt das eine und zieht das andere vor.

Der Weise macht sich keine Sorgen um sein eigenes Leben; er macht sich die Bedürfnisse der Menschen zu eigen. Ich bin gut zu denen, die gut sind, aber ich bin auch gut zu denen, die nicht gut sind, denn so vermehre ich die Güte.

Ich vertraue den Menschen, die vertrauensvoll sind, und ich vertraue den Menschen, die nicht vertrauensvoll sind, denn so vermehre ich das Vertrauen.

Der Weise hält sich zurück und ist bescheiden in dieser Welt.

Man sieht ihn, man hört ihn, und er behandelt alle Menschen wie Kinder. All diese vielen gehörten Weisheiten brachten mich zum intensiven Nachdenken und zu nachfolgendem Entschluss:

ALEA IACTA EST

Das richtige, wahre, echte Manna, welches wir für unser ultimatives Lebensmittel verwenden wollen, haben wir noch nicht gefunden – aber wir sind auf der Suche ein großes Stück weiter gekommen. Die nächste Reise wird uns nach Persien führen. Aber nach all dem Gehörten und Gelesenen stellt sich auch die wichtige Frage: wie wurde ich zu dem, was ich bin, eine Frage, die man sich unbedingt stellen sollte im Lauf des Lebens.Hierbei stellt man fest, dass dies durch Prägungen in der Kindheit passiert: Erziehung der Eltern / Lehrer / Freunde und danach durch – wie Erich Fromm sie nannte – magische Freunde / jene, die zum richtigen Moment mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ich wurde in einem kleinen Schweizer Bergdorf geboren und wuchs sehr behütet in meinem Elternhaus auf. Ich versteckte mich oft am Dachboden vor meinem Vater, der mich zur Arbeit einteilen wollte – um Bücher zu lesen. Es kam einiges zustande an Büchern in dieser Zeit, und diese Bücher veränderten mich – sie brachten mich zum Nachdenken, zum „Selbst denken“ (wie es Immanuel Kant immer forderte), und ich entwickelte meine eigene Welt. Ab einem gewissen Moment in meinem Leben habe ich verstanden, welche Rangordnung in der Prioritätenliste ich einführen muss, um ein erfülltes Leben zu haben. CHOCOLAT bedeutet Glücksgefühle, dieses Buch ist also auch meine Quintessenz zum erfüllten, glücklichen Leben nach dem Studium vieler guter und schlechter Bücher und Lehrmeister. Laut Aristoteles erlangt man Glückseligkeit nur durch ein sinnerfülltes Leben, wobei man sich an den Kardinaltugenden orientieren soll. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sind die Würfel gefallen – ALEA IACTA EST – und ich habe entschieden, was zur Erlangung meiner Glückseligkeit führt. Wichtig für mich ist hierbei, dass ich dies eigentlich mit niemandem in einem persönlichen Gespräch kommuniziere, es ist meine ureigene Sache, ich will niemanden davon überzeugen und mich rechtfertigen dafür, warum ich daran glaube. Ich oute mich also gerade, aber das ist ja gut so.

Die Zahl Sieben hat für mich immer schon eine sehr große Bedeutung, deshalb habe ich mein Credo in sieben Punkten zusammengefasst. Kurz noch zur Zahl Sieben: Sieben gilt in fast allen Kulturen der Welt als heilige Zahl, als geistschaffender Atem des Schöpfers. Septos-Semnos  (frühgriechisch = heilig und erhaben) ist stammverwandt mit (lat.) Septem. Am siebten Tag der Schöpfung herrscht Arbeitsruhe, aber Wachheit für Schönheit und Heiligkeit. Arithmetisch ist die Sieben eine besonders eigenständige Primzahl, so kann auch die Sechserteilung des Kreises erst erfolgen, wenn ein Arm des Zirkels eingestochen worden ist, um den Kreis zu ziehen. Die Sieben ist augenscheinlich der kryptische Kern der materiellen Harmonie von sechs, da die Konstruktionen aller Hexagramme und Hexagone eines Kreismittelpunktes bedürfen. (Abbildung von sechs Kreisen, in deren Mitte ein siebter Platz hat). Sieben steht für:

Dynamisierende Geistigkeit, Offenbarung, spirituelle Schönheit, Reinheit, Unanfechtbarkeit, Brücke ins Jenseits – kryptische Weisheit. Sieben Tage galten bei den Juden auch als die sieben Tage der Schöpfung.

Sie gaben deshalb dem Tempelleuchter (Menora) sieben Arme. Sieben Weltwunder und sieben weise Männer, die dem Geist Orientierung geben, wusste die Antike zu nennen. Sieben Sakramente erkennen die Apostolischen Kirchen. Sieben geistige Zeitalter der Menschheit nennt der scholastische Theologe Bonaventura. Auf sieben Hügeln wurde Rom erbaut. Sieben spirituelle Dinge ordnet die Kabbala der Mystik zu. Und die Ägypter sahen aufgrund der sieben Öffnungen, die der menschliche Kopf als geistiger Dirigent des Körpers hat, die Sieben als den Schlüssel zur Wahrnehmung höherer Geistigkeit an. Die Zahlen, die eine gewisse Ordnung in unser Leben bringen, haben wahrlich große Bedeutung. Inhalte altbekannter Bestseller, die ewig aktuell sind, uralte Philosophen, deren Erkenntnissen auch heute nichts hinzuzufügen ist, haben mich folgende sieben Punkte festhalten lassen:

  1. Sich der Frage nach dem Sinn des Lebens immer wieder zu stellen und darüber nachzudenken, betrachte ich als die wichtigste Aufgabe im Leben.

Auch wenn man auf diese Fragen nie eine wirkliche Antwort erhalten wird. Sie zu stellen, gehört aber zu den unerfüllten Aufgaben im Leben. Diese sehr private tägliche Annährung kann im Atheismus enden oder zu einer Gläubigkeit, Spiritualität führen. Mein Studium von Moshe ben Maimon hat mir hierbei viel geholfen und mich zu einem spirituellen Menschen werden lassen. Er beschreibt die fehlerhaften Tugenden als die Schein-Trennwand zum Göttlichen, nur Prophet Moses war als einziges menschliches Wesen bis auf wenige Trennwände dem Angesicht Gottes nahe gekommen.

Hier kam die Antwort – Der Mensch wird mich nicht schauen, solange er lebt. Jeder einzelne Mensch ist das Ergebnis einer Geschichte, deren Wurzeln bis in das Gedächtnis Gottes reichen. Denn es ist nicht Sache des Menschen, Ort und Zeit seiner Geburt zu wählen, aber seine Aufgabe ist es, seiner Existenz einen Sinn zu geben, eine Richtung für das Absolute, und damit das Absolute zu Gott zu rechtfertigen. Auch der entscheidende Satz bei Hiob, nachdem er all sein Leid ertragen und den Glauben nicht verloren hatte: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen, aber nun hat mein Auge dich gesehen. Deshalb verwerfe ich (meine frühere Meinung) und bereue über Staub und Asche“ hilft entscheidend weiter. Sein Sinn des Lebens ist die Verherrlichung Gottes. Den anarchistischen Ansatz, in seinem Leben nicht nach Sinn zu suchen oder ihm einen zu geben, hat auch einen gewissen Reiz, und viele halten die Sinnsuche für unnötig und überflüssig. Dass es auch möglich ist, die Sinn-Frage einfach auszublenden und in den Tag hineinzuleben, hat mich sehr beschäftigt, und dieser Ansatz ist auch wirklich nicht von vornherein abzulehnen – aber indirekt ist er ein Zugeständnis an die Erkenntnis, dass die Sinnfrage für den menschlichen Geist einfach nicht zu verstehen ist und es auch keine Antwort darauf gibt und geben wird!! Aber es hat jeder die Freiheit, diese Frage für sich persönlich zu entscheiden! Eine Art Neuauflage der Grundsatzdiskussion von Rabbi Schamai und Hillel.

  1. Glückseligkeit nach Aristoteles –

ein tugendhaftes Leben führen.

„Tugendhaftes Leben“ klingt etwas naiv und weltfremd – so wie wenn jemand außerhalb des wirklich realen Lebens stünde. Aber ich erzähle ja niemandem, dass ich danach lebe – dennoch hat es einen gewissen Reiz, in regelmäßigen Abständen darüber nachzudenken, was es bedeutet – die Dinge abzuwägen, manchmal geht es besser und manchmal schlechter. Aber man wird besser im Lauf der Zeit, und das Entscheidende ist: man fühlt, dass es einem gut tut und richtig ist. (Aristoteles hatte schon damals Recht)

Die sieben Tugenden sind:

Die Gruppe von vier Haupttugenden wird erstmals bei dem griechischen Dichter Aischylos (460 v. Chr.) charakterisiert. In einem Stück beschreibt er den Seher Amphiaraos als tugendhaften Menschen, indem er ihn als

– verständig (sóphron),

– gerecht (díkaios),

– fromm (eusebés) und

– tapfer (agathós) bezeichnet

Platon übernahm in seinen Dialogen Politeia und

Nomoi die Idee der Vierergruppe und benannte sie ab nun:

– Gerechtigkeit (iustitia),

– Mäßigung (temperantia)

– Tapferkeit und Hochsinn (fortitudo, magnitudo

nimi bzw. virtus) und

– Weisheit oder Klugheit (sapientia bzw. pruden-

tia).

Hinzu kommen die drei göttlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe.

Tapferkeit gefällt mir besonders, im Unterschied zum Mut setzt Tapferkeit voraus, dass man damit rechnet, selbst verletzt zu werden.

Den Ausgangspunkt für die Tugenden als Begriff stellt eine Kurzformel dar: „Sittlich richtig handeln bedeutet nach der Tugendethik tugendhaft leben.“ Als klassische Ausarbeitung der Tugendethik werden üblicherweise die ethischen Schriften des Aristoteles angeführt.

Viele antike Philosophen, darunter Sokrates, haben auf die Frage, wie man leben soll, um zu einem  guten oder letztlich glücklichen Leben zu kommen, geantwortet: tugendhaft.  Diese Antwort erfordert eine Theorie über die Natur von Tugenden – sie werden zum Beispiel als durch Gewöhnung erwerbbare charakterliche Dispositionen erklärt. Sie erfordert auch eine Auskunft darüber, welches die relevanten Tugenden sind. Angeführt wurden zum Beispiel Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung. Die Ideengeschichte kennt diverse Kataloge von Tugenden. Beispielsweise stellt die christliche Tradition die sogenannten „Theologischen Tugenden“ Glaube, Hoffnung und Liebe neben die vier eingangs genannten „Kardinaltugenden“, sodass sich insgesamt sieben Tugenden ergeben. Die aristotelische Tugendethik orientiert sich an der Natur des Menschen und an den für die Qualität der Handlungen relevanten Umständen. Ziel ist die Glückseligkeit des Menschen. Die Tugendethik trägt der Tatsache Rechnung, dass das, was gut ist, von den Umständen abhängt und es deshalb keine einheitliche Regel gibt, die a priori jeden Einzelfall bestimmen kann. Prinzipiell ist Ethik für Aristoteles eine praktische Wissenschaft, die nicht ohne Beispiele und konkrete Untersuchungen auskommt. Denn es hängt von vielen konkreten Umständen ab, ob eine Handlung gut ist und die Steigerung des Glücks zur Folge hat. Tugend ist nach Aristoteles eine vorzügliche und nachhaltige Haltung (hexis), die durch die Vernunft bestimmt wird und die man durch Einübung bzw. Erziehung erwerben muss. Zur Bestimmung der Tugenden sucht man nach Aristoteles das Mittlere zwischen zwei Extremen (Mesotes-Lehre), zum Beispiel die Selbstbeherrschung (Mäßigung), die zwischen Wollust und Stumpfheit liegt, oder die Großzügigkeit als Mittleres zwischen Verschwendung und Geiz, oder die Tapferkeit, die zwischen Tollkühnheit und Feigheit liegt. Das Mittlere ist hierbei nicht als ein mathematischer Wert zu verstehen, sondern als das Beste, was man im Bereich einer Charaktereigenschaft jeweils erreichen kann. Es ist individuell bestimmt. „Die Tugend ist also ein Verhalten (eine Haltung) der Entscheidung, begründet in der Mitte in Bezug auf uns, einer Mitte, die durch Vernunft bestimmt wird und danach, wie sie der Verständige bestimmen würde.“ Da Aristoteles Realist war, wusste er um die Schwierigkeit und Vielfalt der konkreten Umstände. Deshalb ergänzte er auch seine Definition der Tugend als Recht der Mitte um den Zusatz, dass ein anderer verständiger beziehungsweise tugendhafter Mensch als Orientierung dienen kann. Diese Ergänzung folgt auch aus anderen Überlegungen der Tugendethik, die die Überzeugung vertritt, dass man richtiges und ethisch gutes Handeln erlernen kann und muss, um fortschreitend richtig und gut zu handeln und um sein Urteilsvermögen in Bezug darauf zu entfalten. Neben den vielen Fällen, in denen die Umstände über eine gute Handlung entscheiden, gibt es jedoch für Aristoteles auch Handlungen, die an sich schlecht sind. Bei diesen gibt es keine Mitte, weil es kein anderes Extrem gibt. Solches sind Mord, Ehebruch und andere Handlungen, die er als der Natur des Menschen grundsätzlich entgegengesetzt betrachtet. Die höchste Glückseligkeit erreicht man nach Aristoteles durch die Tugend der Weisheit (Sophia). Denn die Weisheit, im Sinne der Kontemplation oder Meditation über die ersten Dinge und den Sinn des Lebens, ist die höchste Tätigkeit des höchsten Vermögens des Geistes. Es ist außerdem die Tätigkeit, die dem Menschen am reinsten, dauerhaftesten und ununterbrochensten möglich ist, wenn er darin geübt ist. Sie gewährt das größte Glück und mitfolgend auch die größte Lust.

Im Gegensatz dazu steht die Tugendlehre Immanuel Kants. Unter Tugendhaftigkeit versteht er die Pflicht, seine Fähigkeit zu vernunftbestimmtem Handeln zu gebrauchen, ungeachtet sonstiger Beweggründe und Antriebe. Mut als Tugend kann sowohl das Handeln des Verbrechers als auch das des Polizisten bestimmen.  Tugenden sind daher zwar nützlich, aber nur relativ. Sie bedürfen der Begleitung durch das sittlich Gute mit dem Kategorischen Imperativ als Maßstab, da die Befolgung des Kategorischen Imperativs ein Gebot der Pflicht ist. Diese Pflichtbindung macht Kant zum Vertreter einer deontologischen Ethik.

Glückseligkeit als höchstes Gut erkennt Kant dann an, wenn wir sie für die anderen anstreben. Für uns selbst ist allein die Sittlichkeit der Maßstab. Im Judentum ist die Einhaltung der Gesetze von entscheidender Bedeutung. Ein gesetzestreues Verhalten garantiert einem Platz im Himmel. 613 Regeln (Mizwat) sind aufgestellt, die es heißt einzuhalten, sowie ein ständiges Studium der Tora.

  1. Sich fortzupflanzen, Kinder zu bekommen und eine Familie zu gründen.

Dies sollte ein oberstes Ziel sein; sollte man dies nicht erreichen, so kann man ein Kind adoptieren oder ein verwandtes, bekanntes Kind als gute Patin im Leben begleiten. Die Spirale des Guten kann nur über die kleinste Zelle der Familie, über die Weitergabe und das Vorleben (als gutes Beispiel) von positiven Werten fortgesetzt werden.

Sowie In Freundschaft, Vertrauen und Redlichkeit zu leben. Die wohl wichtigste irdische Form des Lebens ist es, Freundschaften zu pflegen, diese Erkenntnis ist für mich fundamental. Heute, in der Zeit der Tribunalisierung wird alles eingeklagt, jeder besteht auf seinen scheinbaren Rechten und vergisst die Pflichten.

Laotse schreibt im Tao Te King aber auch sehr interessante, nachdenkliche Worte: Ich vertraue den Menschen, die vertrauensvoll sind, und ich vertraue den Menschen, die nicht vertrauensvoll sind, denn so vermehre ich das Vertrauen.

  1. Für den menschlichen Geist ist es bedeutend, eine sinnstiftende Tätigkeit auszuüben.

Beruflicher Erfolg und das Erreichen von wirtschaftlichen und beruflichen Zielen ist ein ganz wichtiges Streben im Leben.

Mein Vater sprach immer davon, dass finanzielle Unabhängigkeit das Denken erleichtert und es leichter ermöglicht, seine Gedanken in die Tat umzusetzen.  Aber es birgt auch große Gefahr, die Demut zu verlieren, Geiz und Überheblichkeit dominant werden zu lassen sowie den Blick für das wirklich Wesentliche nicht mehr zu üben.

  1. Auf die Gesundheit achten, seinen Körper und Geist pflegen.

Ewiges Lernen und die Entwicklung für den Sinn von Schönheit, dem Guten und das Wahre im Leben.

  1. Für die Allgemeinheit und die anderen Mitmenschen einen Beitrag leisten.

Martin Buber: „Mein der Schwäche des Menschen kundiges Herz weigert sich, meinen Nächsten deshalb zu verdammen, weil er es nicht vermocht hat, Märtyrer zu werden.“

  1. Mich am Ende des Lebens auf mein Ableben vorbereiten

Im Buch Genesis hat Gott nach den vielen Verfehlungen der Menschheit (früher wurden sie laut Bibel alle zig hundert Jahre alt) das menschliche Dasein mit 120 Jahren begrenzt. In den letzten Jahrzehnten sieht man ein massives Ansteigen der Altersgrenzen. Ich hoffe, rechtzeitig zu erkennen, wann die letzten 10 bis 15 Prozent meines Lebens begonnen haben – und dass ich mit einer gewissen Gelassenheit und ohne Ängste diese letzte Phase erleben kann. Dies wünsche ich jedem – wir alle wissen, dass das Schicksal hier oft anders entscheidet.

Ich möchte meine sehr persönliche, als motivierend gedachte Erzählung mit den Worten meines Vaters beenden:„Sei gütig, hilfsbereit und edelmütig, halte die zehn Gebote ein und sei der Wahrheit verbunden, lass das Streben nach einem tugendhaften Leben einen Bestandteil deines Lebens werden, so wird dir die Gnade zuteil, Gottes Vertrauen und Erleuchtung zu erlangen.“ Nach so viel Philosophischem und Tiefgründigem – bitte vergessen Sie nicht: nur wer über sich selbst lachen kann und jeden Tag mit Humor lebt, ist in der Lage – zumindest im Ansatz – echte Gelassenheit im Leben aufzubauen! In meinem nächsten Buch werde ich Ihnen von unserer Suche nach dem Manna berichten und davon, wie es uns im Iran ergangen ist – und es wird von „Pain“ (Brot)“ handeln, mit der gleichen Intensität und Leidenschaft, wie ich es in diesem Buch mit CHOCOLAT versucht habe. Aber es ist nun höchst an der Zeit, Ihnen nachfolgend alles zum Thema Schokolade zu erzählen.

Alles Gute,

Ihre Alessandra Sophia